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Die Kunst des Auslassens und Manipulierens - Oder wie man heute mit 75 Jahren Verfassung umgeht

Aktualisiert: 26. Feb.



Da fuchtelt ein Professor mit erhobenen Zeigefingern und schon ist er der Verkünder der Wahrheit, eine Autorität, der man glauben muss. Der wird es schon wissen, richtig?

Wieder einmal hat sich die Saarbrücker Zeitung selbst übertroffen - ein Meisterwerk der Verdrehung und Verschleierung.

Hinweis: Das ursprüngliche Foto wurde aufgrund einer Urheberrechtsverletzung von der Seite entfernt. Urheber*in des entfernten Fotos, das wir aus der SZ abfotografiert haben, ist IRIS | MARIA | MAURER, fotojournalistin (djv).


75 Jahre Saar-Verfassung: „Das Saarland ist sicher das internationalste aller Bundesländer“ titelte die Saarbrücker Zeitung am 15. Dezember anlässlich des großen Jubiläums. Was folgt, ist ein Interview mit Prof. Rainer Hudemann, das scheinbar objektiv daherkommt. Aber wichtig ist: Was wird durch die Aufmachung bzw. die Art der Fragestellung subtil suggeriert?


"Verabschiedet wurde sie [die Saarverfassung] in der 'Franzosenzeit' "

So schreibt die SZ gleich in der Einleitung, klingt so, als wären wir keine autonomen Saarländer im Saarstaat, sondern Franzosen gewesen. Hudemann, so die SZ weiter, erinnere im Interview an die Umstände der Zeit, in der die Verfassung entstand. Doch wichtige Details fehlen und Widersprüche zeigen sich auf:


Was ist mit "Franzosenzeit" überhaupt gemeint? Die komplette Zeit, der Zeitraum 1945-1947 oder die Jahre 1947-1956? Aus dem Interview geht hervor, dass die SZ den Zeitraum 1947-1956 als "Franzosenzeit" bezeichnet.


Pikante Details zur Entstehungsgeschichte der Verfassung

Fakt ist, eine französische Verwaltung war bis 1947 der Wegbereiter dafür, dass sich das Saarvolk vom Deutschen Reich lösen und sich eine eigene Verfassung geben konnte. Dabei setzten sich die Saarländer in Bezug auf die Verfassungstexte gegen die Franzosen durch, indem sie sich deutsche Verfassungen zum Vorbild nahmen.


Die verfassungsgebende Gewalt wurde durch die Wahl am 5.10.1947 an den Landtag übertragen und schon zwei Jahre nach Kriegsende war das Saarland bis auf seine außenpolitische Vertretung autonom, im Frieden und in einem Wirtschaftsverbund mit Frankreich. Daraus macht die SZ lapidar die "Franzosenzeit".


Staatsrechtlich hat man sich so eindeutig durch die Saarverfassung vom Reich abgetrennt; dennoch heißt es in der SZ, unser Status wäre unklar gewesen; wir wären ein teilautonomes Gebiet des Reiches gewesen.


Die Mär von der französischen Verwaltung

"Das Saarland stand auch nicht voll unter französischer Verwaltung"

Das Saarland war anfangs nicht vollkommen eigenständig, so müsste es richtig heißen. Es stand auch nicht unter französischer Verwaltung, sondern war mit Frankreich in einem gemeinsamen Wirtschaftsverbund. Auch hierin hat sich das Saarland Jahr für Jahr immer mehr Autonomie erkämpft, bis es in allen Belangen komplett eigenständig war. Die saarländische Gesellschaft für Kulturpolitik e.V. schreibt hierzu:

Ministerpräsident Johannes Hoffmann erreichte "ein Ende des französischen Besatzungsstatuts für das Saarland. Nach und nach konnte er dem übermächtigen französischen Partner die Unabhängigkeit abringen, mit den Saarkonventionen vom 20. Mai 1953 entfiel das bisherige Vetorecht Frankreichs vollständig, das Saarland erhielt das Recht auf eine eigenständige außenpolitische Vertretung."

Zwei Jahre später folgte auch die wirtschaftliche Gleichstellung. Spätestens mit dem Wirtschaftsvertrag von 1955 muss das Saarland als vollautonom und vollkommen gleichberechtigter Partner Frankreichs angesehen werden.


In Wirklichkeit ist es so: Die BRD wollte unseren neuen Status einfach nicht hinnehmen! Auch heute noch tut das Blatt immer noch so, als ob es diese echte staatsrechtliche Abtrennung von Deutschland nie gegeben hätte.


Einen Staat ohne Volksabstimmung per Gesetz übernehmen

Auch sehr interessant und der nächste Schlag ins Gesicht der saarländischen Geschichte: Die SZ schickt bei der Frage an Herrn Prof. Hudemann Folgendes voraus:

"Nur ein Änderungsgesetz und die ersatzlose Streichung der Präambel waren 1956 für ihre Übernahme in die Bundesrepublik nötig, ist das nicht bemerkenswert?"

Klar: Ein Referendum ist nicht nötig! Solche Themen werden von der rheinischen Saarlandzeitung nur in Bezug auf die Ukraine kritisch beurteilt. Eine Volksbefragung über ein deutsch-französisches Abkommen wird als Einwilligung zur Eingliederung in die BRD umgedeutet, die halbe Verfassung des eigenständigen Staats per Gesetz geändert und die Präambel gestrichen, die die Unabhängigkeit vom Deutschen Reich erklärt. Ein Referendum für die BRD-Eingliederung? Hat es nie gegeben! Und dann sagt man: Jetzt seid ihr bundesdeutsch. Ist das nicht bemerkenswert? Oder ist es gar grotesk?


Um die Verwirrung der Tatsachen in Bezug auf ein „fehlendes Referendum“ perfekt zu machen, sät die SZ im Kontext von 1947 Zweifel. Obwohl sich das Volk selbst die Verfassung gegeben hat, zweifelt man, ob die Präambel überhaupt dem Willen der Bevölkerung entsprach, weil hier ein Referendum fehle. Um hier nicht bösen Willen beim Verzerren der historisch wichtigen Zusammenhänge in Bezug auf die Saargeschichte zu unterstellen, muss man annehmen, dass der Redaktion Folgendes nicht bekannt ist: Der Verfassungstext lag 1947 zwei Wochen vor den Wahlen in allen Bürgerämtern aus; das Volk konnte diesen einsehen und Klage erheben. Es gab keine einzige Klage und 96% der Saarländer nahmen die Verfassung mit ihrer Stimme an - inklusive der Präambel!


Aber Achtung! Hier hat sich die Saarbrücker Redaktion offenbar um 10 Jahre vertan: Mit der für das Jahr 1957 zutreffenden Aussage „Ein Referendum fand ja nie statt...“ müsste die Eingliederung in die BRD in Frage gestellt werden. Aber wer will schon so kleinlich sein oder anders gefragt: wer beißt schon die Hand, die einen füttert?


"Den Stolperstein [Saarland] musste man beiseite räumen"

Die Saarbrücker Zeitung merkt weiter an, das Saarland sei ein Stolperstein für die deutsch-französische Verständigung gewesen, habe aber auch wichtige Brücken gebaut. Jedoch würdigt Hudemann in der Beantwortung der darauf bezogenen Frage die tatsächlichen Leistungen des Saarlandes in keiner Weise, sondern behauptet: "Den Stolperstein musste man beiseite räumen."

Stolpersteine bauen keine Brücken, sie behindern einen am Fortschreiten.

Wie wäre es in diesem Zusammenhang mit einem kurzen Zitat aus der Rede "Für Europa!" des Landtagspräsidenten, Peter Zimmer, kurz vor der Volksbefragung von 1955:


"Wir haben ein Wunder erlebt. Heute, da stehen Sieger und Besiegte, selbst Frankreich und Deutschland, völlig ausgesöhnt und versöhnt vor uns, die diese Aussöhnung und Versöhnung durchgeführt haben zu einer großen Gemeinschaftspolitik. […]
Und wenn das so ist, das spreche ich hier ganz offen aus, dann ist das mit ein Hauptverdienst der saarländischen Nachkriegspolitiker. Meine Damen und Herren, es wird Ihnen ja jetzt ein Beispiel vorexerziert, wie diese nationalistischen Kreise sich gedacht haben, was wir tun sollen. Meine Damen und Herren, wenn wir seit 1947 oder erst seit 1951 eine solche Politik inszeniert hätten, […] glauben Sie, dass auch nur ein diplomatisches Gespräch zwischen Deutschland und Frankreich möglich gewesen wäre?"

Will man die Saarländer mit dieser erbärmlichen Frage und Antwort zur Volksbefragung von 1955 für dumm verkaufen?

"Votierten die Saarländer FÜR Deutschland oder GEGEN Frankreich?"

Diese Fragestellung für sich allein ist schon komplett irreführend und der traurige Höhepunkt des Interviews. Ist das im Prinzip nicht das Gleiche: Für Deutschland und gegen Frankreich stimmen? An sich schon eine völlig sinnfreie Frage.

Die Saarländer haben weder für Deutschland noch gegen Frankreich gestimmt! Doch ebenso plump ausgedrückt wie gefragt: Die Saarländer haben GEGEN Deutschland gestimmt, genauer gesagt gegen das besetzte Deutschland. Die Saarländer haben nämlich ein Wirtschaftsabkommen mit Deutschland abgelehnt, nicht mehr und nicht weniger!

Auf die Frage der SZ geht Hudemann auch gar nicht wirklich ein. Noch peinlicher, er verwechselt sogar die Jahreszahlen, denn er spricht vom Abstimmungsergebnis von 1954.

Ihm geht es auch nicht um Fakten, sondern um seine Interpretation: Das Ergebnis ist für ihn ein "Ausdruck der internationalen Orientierung des Saarlandes" . Damit weicht er der Beantwortung der gestellten Frage komplett aus. Hierzu möchten wir noch ein letztes Mal Peter Zimmer anführen:


"Die Sache ist deshalb ernster, weil drüben der Minister zur Verwaltung der öffentlichen Propagandagelder – Ich streite nicht um ein paar hundert Millionen nach oben, aber wahrscheinlich mehr als 1,5 Mrd. Franken für Sonderausgaben an der Saar getätigt hat. [...] Wenn nun das Ausland sieht und merkt, dass die Bundesrepublik mit ihr einen Vertrag geschlossen hat auf Treu und Glauben, dass hier durch eine von der Bundesrepublik bezahlte Propaganda das Saarabkommen zerschlagen werden soll, dann müssten die ausländischen Politiker aus Idioten bestehen, wenn sie auch nur eine Minute Vertrauen in die BRD hätten. […] Wenn ich Ministerpräsident Hoffmann wäre und ich wäre Separatist, dann würde ich meine Partei aufrufen, mit Nein zu stimmen. So ist die Wirklichkeit; weil das ja die einzige Möglichkeit wäre, seine Stellung bis zum Friedensvertrag unangreifbar zu machen. Kommt noch interessanter. […] Jetzt sollen wir durch diese Propaganda, die gegen uns ist, weil wir das Saarabkommen und Europa und Deutschland retten wollen, durch unser Ja als Separatisten abgestempelt werden, obwohl das eine Propaganda ist, die dieselbe deutsche Bundesrepublik hier an der Saar finanziert. […] Es liegt in der Hand der Bundesrepublik. Für uns an der Saar ändert sich nichts [wenn wir mit Nein stimmen, Anm. der Red.]. Dann bleibt’s eben bei dem, was war. Und wir sagen der Welt, dass wir nicht das Saarabkommen abgelehnt haben, sondern dass wir dieses Doppelspiel der Bundesrepublik nur zu unserer persönlichen Diffamierung ablehnen."


Natürlich kann man selbst bei einem fachkundigen Professor ein solches Hintergrundwissen nicht einfach voraussetzen, schon gar nicht, wenn er damit das schlafende Volk über derartige Ungeheuerlichkeiten aufklären könnte. Doch für das Saarland ist es traurig, dass durch das im Saarland meist verbreitete Publikationsorgan im Druckformat die Geschichte derart verdreht werden kann. Zeit für Freie Presse in einem Freien Saarland!



Quellen:



Rede "Für Europa!", Landtagspräsident des Saarlandes Peter Zimmer vom 13.08.1955



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